Entwicklung der Pharmaindustrie - ein Interview mit Dr. med. Uloff Münster

Entwicklung der Pharmaindustrie - ein Interview mit Dr. med. Uloff Münster

Wohin entwickelt sich der pharmazeutische Außendienst, wohin geht die Reise? Zu diesem Thema haben wir Herrn Dr. Uloff Münster interviewt.

Hartmut Eßmann: Herr Dr. Münster, Sie als Arzt und Führungskraft in der Pharmaindustrie haben langjährige und umfassende Erfahrungen in unterschiedlichen Bereichen: im medizinischen Bereich, im Vertriebsbereich und in Umstrukturierungsprozessen. Wo stehen wir jetzt, wohin entwickelt sich die Pharmaindustrie? Lassen Sie uns dabei ganz besonders auf die Marketing-, Medical- und Vertriebspositionen schauen.

Dr. Uloff Münster: Corona hat die Welt verändert und die bereits vor der Krise begonnenen Veränderungen in der Kommunikation mit dem Arzt oder Apotheker beschleunigt. Das betrifft natürlich besonders Funktionen, die im täglichen Alltag ganz viel mit Ärzten und Apothekern sprechen. Hier sind besonders Vertriebspositionen und Medical Liaison Manager zu nennen. Ich denke, wir kommen von vielen Dingen, die wir durch Corona tun müssen, nicht mehr weg, weil wir erfahren haben, dass da auch sehr gute Dinge dabei sind, wie z.B. Video Calls. Der Kommunikationsmix wird zukünftig stärker die digitalen Medien einbeziehen. Hier auch in der Nach-Corona Zeit die richtige Mischung und Balance zu finden, wird eine der wichtigen Herausforderungen werden. Wieviele Besuche, wieviele andere Medien setze ich in Zukunft ein? Muss ich tatsächlich überall hinfahren? Den Mix wird man sich auch hinsichtlich der Kosten, allen voran der Reisekosten, sehr kritisch anschauen müssen.

Hartmut Eßmann: Was hat das für die einzelnen Bereiche zu bedeuten, also für den medizinischen Bereich und für den Vertriebsbereich?

Dr. Uloff Münster: Das, was wir gelernt haben ist, dass man auch sehr gut über digitale Medien, z.B. Zoomkonferenzen, arbeiten kann. Für bestimmte Anlässe ist das ideal, weil man sich schnell mit kleinen Gruppen z.B. Key Opinion Leadern zusammenfinden kann, ohne zu verreisen. Man wird zukünftig auch häufiger Telefonate und E-Mails nutzen als vor der Corona-Zeit.

Andererseits werden viele Dinge nach denen wir uns z.Zt. besonders sehnen, wieder zurückkommen: Persönliche Kontakte und Treffen, Kongresse und größere Events, bei denen man wieder auf Leute trifft, die man gar nicht eingeplant hatte zu treffen. Diese zufälligen ad hoc Meetings, die sehr häufig neue Ideen bringen und helfen, Projekte weiter zu entwickeln, fehlen im Moment. Da meine ich insbesondere zufällige Bekanntschaften auf Kongressen oder auch das Gespräch am Kaffeeautomaten.

Hartmut Eßmann: Wohin entwickeln sich Ihrer Meinung nach die Anforderungen im bisherigen Vertriebsaußendienst?

Dr. Uloff Münster: Man wird zunehmend mehr in den Omnichannel Vertrieb gehen, also das Planen und Steuern der zahlreichen verfügbaren Vertriebskanäle und Kundenkontaktpunkte. Das wird sich noch verstärken.

Die Channels und die Technik ist jedoch nur das Eine. Ich denke darüber hinaus, dass es auch im Marketing ein Umdenken geben muss, dass noch stärker Informationen angeboten werden, die vom Arzt tatsächlich nachgefragt werden. Damit meine ich, dass man nicht mehr unbedingt in großen Kampagnen denkt, sondern dass man das Blatt umkehrt, dass mehr gefragt wird, welche Informationen den Arzt gerade interessieren und wie er die Infos gerne hätte. Hier muss noch stärker ein Dialog entstehen.

Ich denke, dass die Wissenschaft zunehmen wird und dass es Verschiebungen geben wird, noch stärker hin zu medizinischen Themen. Die Ärzte werden nach konkreten Inhalten fragen, nach Fakten, Studien und Daten allgemein.

Man kann immer weniger mit einer privaten Ansprache „Wie war das Wochenende?“ und sogenanntem „Small Talk“ erreichen, besonders, wenn man den Arzt per Telefon oder VC spricht.  Es geht um den wissenschaftlichen Austausch. Der Mitarbeiter muss dem Arzt Inhalte vermitteln, die ihm tatsächlich in seinem Alltag etwas bringen. Diese Infos muss man den Ärzten channel-orientiert anbieten, so, wie der Arzt es am liebsten möchte. Ob es online ist, ob es per E-Mail oder Telefon ist oder ob es persönlich ist. Das muss man auf den Arzt abgestimmt anbieten können.

Also: Einerseits wird sich die Anspracheart verändern, sie wird variabler. Vor Corona gab es vielfach ausschließlich den Außendienstbesuch - in Zukunft wird man stärker auch über Konferenz-Schaltungen, E-Mails und Telefonate etc. die Möglichkeit nutzen, Informationen individuell zu vermitteln. Andererseits werden die Ärzte wesentlich differenzierter und wissenschaftlicher nachfragen. Sie werden höhere Ansprüche an den Außendienst stellen.

Hartmut Eßmann: Wo sehen Sie hinsichtlich der Strukturen noch Veränderungen? Kann der Außendienstmitarbeiter seine Tätigkeit wieder aufnehmen oder wohin wird sich das Feld geändert haben?

Dr. Uloff Münster: Naja, wenn man mit Vertriebsmitarbeitern spricht, gibt es immer welche, die bereit sind, sich zu verändern. Und dann gibt es welche, die sind nicht bereit sich zu verändern. Ein Teil wird sagen: “Nein, diese neue Welt ist nichts für mich. Videocalls etc auf Dauer mag ich nicht, ist nicht mein Ding. Da suche ich mir was anderes.“ Alle anderen werden sich darauf einstellen müssen, viel stärker alle zur Verfügung stehenden Channels zu nutzen, weil der Kunde das so anfordern wird.
Insgesamt gehe ich davon aus, dass der Außendienst eher kleiner wird, die Gespräche werden auch über Videokonferenzen laufen, über E-Mails und Telefon. Das spart viel Zeit und Reisekosten. Wer sich nur auf eins zu eins Praxisbesuche fokussiert, wird in Zukunft nicht mehr klarkommen. Heute muss man sehr viel flexibler sein.

Viele Unternehmen brauchen jetzt schon keine große Vertriebsstruktur mehr, sondern nur noch wenige Experten. Da gehen sie ganz gezielt vor. Der Rest wird über andere Wege abgedeckt. Außendienstmitarbeiter müssen sich fragen, wo sie abgesehen vom Zugang zum Arzt effektiv differenzierte Inhalte überbringen können. Diese Inhalte müssen sie dann channelspezifisch vermitteln. Diese Kommunikationspräferenz des Arztes muss sich dann auch in den Segmentierungskennzeichen widerspiegeln.

Was das Marketing angeht, so sehe ich zwei wichtige Punkte:
Zum einen wird es einen Wechsel in der „Marketingdenke“ geben müssen, weg von „Push“ hin zu „Pull“. Damit meine ich, dass wir die Ärzte bisher häufig mit Informationen überfrachtet haben, die uns als Unternehmen wichtig erschienen. Das haben wir dann als sog. „Kampagnen“ auf die Kunden „überschwappen“ lassen, wie bei einer Flutwelle. Ich habe das deswegen auch spaßeshalber mal „Tsunami-Marketing“ genannt.

Ich meine, hier könnte man sich nicht nur noch besser differenzieren und stärker wissenschaftlich ausrichten, sondern eben auch kundenorientierter arbeiten. Das anbieten, was tatsächlich gefragt wird. Und das immer so, wie und wann der Arzt es wünscht. Es muss in Dialogsträngen gedacht werden. In einem Termin wird beispielsweise auf Wunsch des Arztes über Herzinsuffizienz gesprochen und beim nächsten Termin wird das Thema Herzinsuffizienz dann weiter entwickelt.

Zum anderen wird die Wissenschaftlichkeit weiter zunehmen. Die Ärzte werden wesentlich stärker nach nutzbringenden Daten fragen, die Ihnen wichtig sind und noch häufiger nach Belegen für die Aussagen der Pharmaindustrie. Inhalte werden stärker in den Vordergrund treten. Damit wird auch die Bedeutung der medizinischen Abteilung weiter steigen.

Hartmut Eßmann: Für mich hört sich das so an, als wenn an den Außendienstmitarbeiter der Zukunft andere Anforderungen gestellt werden. Bisher heißt es „Geh hin, halte deine Besuchsfrequenz möglichst ein und versuche, den Arzt mit vorgefertigten Statements zu Verordnungen zu bringen.“

In Zukunft geht es darum, wie der Arzt ansprechbar ist, es geht um die fachliche Ansprechbarkeit und das medizinische Niveau. Der Außendienstmitarbeiter hat mehr mit technischen Dingen zu tun, nicht nur mit der Besuchsorganisation. Kann es auch sein, dass der Medical Bereich an Bedeutung gewinnt?

Dr. Uloff Münster: Ganz genau. Die Firmen und die Produkte aber auch die Ärzte sind sehr unterschiedlich. Je nach Facharztspezifikation sind die Kommunikationsstrategien ja jetzt schon sehr verschieden, auch was den Grad an Medical-Einsatz angeht.

Das Arztprofil sollte erfassen, was der Arzt will, aber auch, wie ist er ansprechbar, an welcher Stelle muss er welche Infos wie schnell bekommen und wie kann ich mich als Firma von Mitbewerbern unterscheiden. Es wird vielfach nicht mehr möglich sein zu sagen: „Ich komm‘ dann morgen mal vorbei“. Der Arzt will Vieles ja schon sofort haben. Außerdem muss man Gespräche mit der Industrie ja nicht mehr unbedingt in der wertvollen Sprechstundenzeit führen. In der Pandemie haben wir ja gelernt, dass es auch anders geht. Es wird wesentlich flexibler werden. Dieser Flexibilität muss sich der Außendienst stellen und sie nutzen. Z.B. schicke ich dem Arzt direkt nach dem Dialog eine E-Mail mit den Informationen, die ich im Gespräch nicht gleich zur Hand hatte. Und wenn ihm das noch nicht reicht, dann rufe ich an oder komme auf Wunsch vorbei – als Außendienst oder als MSL – aber selektiv, nicht als Standard.

Ich sehe den Außendienst als Gate Keeper und Kommunikationsmanager, als Bindeglied, um die richtigen Botschaften in der richtigen Form und im richtigen Moment an den Arzt zu bringen. Hier spielt auch der MSL eine wichtige Rolle als medizinisch ausgebildeter Spezialist. Die perfekte Abstimmung zwischen Vertrieb und Medical ist ein wesentlicher Erfolgstreiber, weil beide den Kunden gut kennen. Das bietet sehr viele Chancen, relevantes Know-how kundengerecht auf den Punkt zu bringen.

Hartmut Eßmann: Herr Dr. Münster, haben Sie herzlichen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch!

Torsten Heimann

Dr. med. Uloff Münster

Arzt, Senior Executive

Dr. med. Uloff Münster ist seit vielen Jahren in der pharmazeutischen Industrie tätig. Ursprünglich Arzt in der Neurologie, wechselte Herr Dr. Münster über die klinische Forschung in die Pharmaindustrie, zum Unternehmen Merck in Darmstadt. Hier entwickelte er sich in Vertriebsfunktionen hinein und erwarb berufsbegleitend den MBA-Abschluss. In verschiedenen Managementpositionen war Herr Dr. Münster insgesamt 17 Jahre lang international tätig, z.B. in Saudi Arabien, Dubai, Amsterdam und Korea. Er hat Produkte eingeführt, Geschäfte “wiederbelebt”, Organisationen verändert und z.B. nach Mergern umgebaut. Zuletzt war Herr Dr. Münster in Deutschland als COO tätig. Er ist immer daran interessiert, Lösungen zu finden, bei denen am Ende ein Nutzen für die Patienten entsteht. So möchte er zukünftig auch seinen beruflichen Ursprung als Arzt mit seinen Managementfähigkeiten verbinden.

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